Medienverbote für Kinder führen häufig zu Trotz und heimlicher Nutzung. Medienpädagogin Kristin Langer erklärt, wie Eltern stattdessen einen vertrauensvollen Dialog aufbauen, gemeinsam Regeln entwickeln und ihre Kinder kompetent durch die digitale Welt begleiten.

Medienpädagogin und Mediencoach bei der Initiative SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht.
Warum erzeugen Medienverbote bei Kindern oft das Gegenteil von dem, was Eltern erreichen wollen?
Das ist ein bekanntes pädagogisches Prinzip: Verbote reizen dazu, sie zu umgehen – besonders ab einem gewissen Alter. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Eltern von Anfang an realistische Verabredungen mit ihren Kindern treffen. Wir wollen Kinder dazu befähigen, Medien bewusst in ihren Alltag zu integrieren, statt sie rund um die Uhr zu nutzen. Verbote erzeugen Widerstand und Konflikte. Sie wirken dirigierend, oft willkürlich und versetzen die Familie in Kampfstimmung – und das ist im Umgang mit Medien überhaupt nicht zielführend.
Was können Eltern tun, wenn ihr Kind bei Medienfragen komplett "dichtmacht" und jedes Gespräch verweigert?
Mein Motto ist: Verstehen ist besser als verbieten. Der erste Schritt ist das offene Gespräch – einfach nachfragen: Was fasziniert dich an dieser Medienform? Warum ist dir ein Smartphone so wichtig? Diese Fragen zeigen, worum es dem Kind wirklich geht: Will es dazugehören und mit anderen gleichziehen? Oder steckt echtes persönliches Interesse dahinter? Oft haben Kinder auch völlig falsche Vorstellungen davon, was sich hinter bestimmten Apps oder Angeboten verbirgt.
Wenn Kinder dichtmachen, hilft eine verständnisvolle und zugewandte Haltung. Das ist manchmal schwer zu akzeptieren, aber es ist wichtig zu verstehen: Das Kind ist nicht gegen die Eltern. In solchen Momenten kann es helfen, sich an die vielen schönen gemeinsamen Erlebnisse zu erinnern – das beruhigt und schafft wieder Distanz zum Konflikt.
Zur Medienerziehung gehört auch, die Privatsphäre des Kindes zu respektieren. Kinder haben das Recht zu sagen: Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. In diesem Fall ist der Austausch mit anderen Eltern oder Freunden eine gute Alternative; dort lassen sich oft wertvolle Tipps und Erfahrungen sammeln.
Wie reagiere ich richtig, wenn mein Kind sagt "Alle anderen dürfen viel mehr!" – ohne in endlose Diskussionen zu geraten?
Erstmal sachlich prüfen: Ist das wirklich so? Oft hat ein Kind den Eindruck, alle hätten ein Smartphone – dabei sind es nur drei Kinder in der Klasse. Eltern können erklären, wo ihre Familie vielleicht andere Prioritäten setzt. Kinder vertragen Andersartigkeit oft sehr gut. Und wenn das Kind doch wirklich darunter leidet, gilt es, sich einander anzunähern: Statt eines eigenen Smartphones gibt es dann vielleicht ein Familiengerät. Eltern und Kinder schauen gemeinsam TikTok-Videos oder spielen zusammen Online-Spiele. Bei ungeeigneten Inhalten suchen sie gemeinsam nach altersgerechten Alternativen. Es geht darum, Brücken zu bauen.
Wie schaffen Eltern eine Vertrauensbasis, in der Kinder auch über problematische Online-Erlebnisse sprechen?
Indem Eltern sich erst mal informieren: In welcher Entwicklungsstufe befindet sich mein Kind gerade? Erwarte ich da vielleicht etwas, das mein Kind noch gar nicht leisten kann?
Und dann finde ich ganz wichtig, in der Familie selbstverständlich über Medien zu sprechen, auch über schöne und spektakuläre Dinge. Meist reden Familien in Bezug auf Medien überwiegend über Gefahren und Regeln. Dann geht es Eltern häufig darum, zu reglementieren und zu kontrollieren. Ja, Regeln sind wichtig, aber sofern das das Einzige ist, über das wir zum Thema Medien reden, ist das sehr einseitig. Wenn wir uns zwischendurch austauschen – „Ich habe gerade was Tolles zugeschickt bekommen“ oder „Guck mal, ich habe ein Foto gesehen, das KI generiert ist; hättest du das gedacht?“ – dann, glaube ich, merken die Kinder, dass Mediendialoge einfach zum Alltag gehören und nicht immer etwas Negatives bedeuten müssen.
Kinder haben ganz unterschiedliche Gründe, warum sie bei Problemen schweigen. Ein Beispiel: Ein Kind gibt versehentlich Geld in einem Online-Spiel aus. Es fürchtet, das Smartphone wieder abgeben zu müssen oder die Eltern zusätzlich zu belasten. Deshalb ist es so wichtig, dass Eltern von Anfang an signalisieren: Du kannst immer zu mir kommen, ohne eine Strafe zu riskieren. Manchmal braucht es aber auch alternative Vertrauenspersonen, die dann vermitteln – einen Paten oder eine nette Nachbarin zum Beispiel. Hauptsache, das Kind weiß, wo es Hilfe findet, und die Eltern wissen, dass ihr Kind mit seinen Sorgen gut aufgehoben ist.
Welche Zuhörtechniken und Tipps gibt es außerdem für sensible Themen?
Wenn wir mit unseren Kindern sprechen, ist es gut, wenn wir ihnen zunächst einmal unvoreingenommen und neutral, aber sehr genau zuhören. Eltern geben so ihrem Kind Raum und verzichten auf vorschnelle Urteile, gerade bei Dingen, die das Kind psychisch belasten, wie Cybermobbing oder Cybergrooming. Auch wenn es schwerfällt, ist es sinnvoll, die eigene Sorge vor dem Kind erst einmal zurückzunehmen und zu signalisieren: Wir finden eine Lösung. Und immer zu fragen: Was wäre dein Weg? Was könnten wir gemeinsam tun?
Bei Cybermobbing wird zum Beispiel oft empfohlen, Screenshots zu machen und zur Polizei zu gehen. Das ist rechtlich natürlich völlig richtig, aber manche Kinder halten es gar nicht aus, das Negative auch noch zu dokumentieren und sich weiter damit auseinanderzusetzen. Sie wollen einfach nur, dass es aufhört. Eltern hören also am besten genau hin: Wo kann das Kind mitgehen? Gemeinsam vereinbaren sie die nächsten Schritte und nicht über den Kopf des Kindes hinweg. Dann fühlt sich das Kind gut aufgehoben. Besonders wichtig: Gesicherte Beweise niemals privat mit anderen teilen, sondern ausschließlich im Dialog mit den Behörden verwenden.
Wie können Eltern, die sich technisch überfordert fühlen, trotzdem kompetente Gesprächspartner für ihre Kinder sein?
Indem sie bereit sind, sich weiterzubilden, etwa in Form von Medienkursen. Bei älteren Kindern kehrt sich die Situation häufig um: Dann lernen die Eltern oft eher von ihnen. Wenn ich mich darauf einlasse, dass mein Kind mir zum Beispiel einen TikTok-Kanal erklärt, kann das sehr bereichernd sein. Oder die Familie macht gemeinsam schöne Dinge mit Medien – da gibt es so tolle Sachen, zum Beispiel können sie gemeinsam Spiele spielen, Stop-Motion-Filme drehen, Fotostorys machen, Hörrätsel produzieren … Medien sind nicht nur bedrohlich, sie sind ein Erlebnisraum für die ganze Familie.
Woran erkennen Eltern, ob ihr Kind aus emotionalen Gründen zu viel Zeit online verbringt?
Eltern sollten aufmerksam werden, wenn sich das Verhalten ihres Kindes deutlich verändert. Zieht sich das Kind zunehmend in die digitale Welt zurück und verliert das Interesse an anderen Aktivitäten? Werden vereinbarte Regeln plötzlich gebrochen, etwa wenn das Kind heimlich nachts spielt oder Bildschirmzeiten überschreitet? Meidet es gemeinsame Aktivitäten oder geht nur noch ungern zur Schule? Auch wenn Kinder anfangen, über ihre Mediennutzung zu lügen oder Ausreden zu erfinden, deutet das auf ein problematisches Verhalten hin.
Bei Veränderungen im Freundeskreis können Eltern genau hinschauen: Handelt es sich um eine altersbedingte Entwicklung oder steckt mehr dahinter? Beim Wechsel zur weiterführenden Schule etwa oder im neuen Sportverein entstehen automatisch neue Sozialräume und Freundschaften – das gehört zur Persönlichkeitsentwicklung. Allerdings können Kinder dabei auch unter emotionalen Druck geraten, wenn sich die neue Gruppe vielleicht hauptsächlich in Online-Spielen verabredet. Der soziale Druck, dabei sein zu müssen, kann enorm werden.
Ein Warnsignal ist, wenn Kinder medienfreie Zeit grundsätzlich und wiederholt ablehnen. Dann heißt es, behutsam nachzufragen: Warum ist die digitale Welt gerade so wichtig? Möglicherweise kompensiert das Kind Stress oder Probleme durch Mediennutzung. Für solche Gespräche können Eltern bewusst angenehme Situationen schaffen, denn in entspannten Momenten öffnen sich Kinder eher.
Wie können Familien aus der typischen Medienkampf-Spirale aussteigen und zu konstruktiven Lösungen finden?
Ich empfehle Familien immer, einen Mediennutzungsvertrag aufzusetzen, am besten im Grundschulalter. Der enthält Regeln für alle Beteiligten, Eltern und Kinder. Die Vereinbarungen lassen sich individuell anpassen. So kann beispielsweise festgehalten werden, dass sich Kinder bei Problemen oder Beleidigungen im Netz an ihre Eltern oder eine Vertrauensperson wenden.
Der Vertrag hat mehrere Vorteile: Kinder fühlen sich mit ihren Medieninteressen ernst genommen und anerkannt. Beide Seiten schaffen eine verlässliche Grundlage für den Umgang mit Medien. Wichtig ist, den Vertrag altersgerecht anzupassen und für verschiedene Bereiche – Games, Smartphone, Social Media – separate Vereinbarungen zu treffen. Das Ziel ist, wegzukommen von ständiger Kontrolle, hin zu Vertrauen und Verbindlichkeit.
Worauf kommt es an, damit Vereinbarungen und ein guter Dialog wirklich gelingen?
Die Haltung der Eltern ist entscheidend. Ich finde es wichtig, dass Eltern nicht von vornherein mit einer Misstrauenshaltung an das Thema herangehen – also nicht davon ausgehen, dass sie eh nicht zu ihren Kindern durchdringen oder dass diese ihre Regeln sowieso nicht einhalten.
Wenn Eltern Mediennutzung als Familiensache begreifen, geht es nicht darum, das Kind in Regularien zu pressen. Es geht darum, es zu unterstützen. Eltern können sich dabei auch selbst in die Pflicht nehmen und ein gutes Vorbild sein – was sie von ihren Kindern in punkto Mediennutzung erwarten, gelingt ihnen idealerweise auch selbst. Die zentrale Frage kann lauten: Wie kann ich mein Kind dabei unterstützen, dass es gesund mit Medien aufwächst?
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